Börsen hoffen auf steigenden Ölpreis
Der Preisverfall beim Erdöl macht sich seit über einem Jahr auch an den deutschen Tankstellen bemerkbar. Eigentlich sollte in ölverbrauchenden Ländern wie Deutschland Freude darüber bestehen, dass Öl und die meisten anderen Rohstoffe auf den Weltmärkten viel billiger geworden sind. Doch an der Börse ist das Gegenteil der Fall: Der fallende Ölpreis gilt als Problem. Das führt zu dem bemerkenswerten Phänomen, dass sich die Börse über steigende Ölpreise freut.
Die unmittelbaren Auswirkungen des gefallenen Ölpreises auf die deutsche Wirtschaft sind zweifellos positiv.
Weiterverarbeitet zu Benzin und Kerosin dient Erdöl Autos und Flugzeugen als Treibstoff. Aber auch die Verwendung als Heizöl verschlingt große Mengen des fossilen Brennstoffs. Und die chemische Industrie benötigt Öl zur Herstellung von Kunststoffen. Für die meisten Branchen ist Öl dabei ein Kostenfaktor; ein niedriger Preis für den Rohstoff kommt diesen Branchen zugute. Der Transport von Menschen und Waren verbilligt sich, bei Unternehmen und Konsumenten kann das gesparte Geld anderweitig ausgegeben werden. Das gesparte Geld für die Ölverbraucher bedeutet natürlich Mindereinnahmen für die Ölexporteure. Die Bank of America bezifferte den Effekt, der durch den Ölpreisverfall entsteht, auf jährlich drei Billionen Dollar. Eine volkswirtschaftliche „Daumenregel“ besagt, dass ein Rückgang der Ölpreise um 10 Prozent das reale Wirtschaftswachstum in den meisten Ländern der westlichen Welt um 0,1 bis 0,5 Prozentpunkte erhöht.
Der Ölverbrauch der Menschheit ist Jahr für Jahr weiter gestiegen. Dabei geht es nicht um die Frage, ob er weiter steigt, sondern nur darum, wie schnell. 2015 stieg die Ölnachfrage nach Angaben der Internationalen Energieagentur („IEA“) um 1,9 Prozent auf 94,6 Millionen Barrel pro Tag. Im Jahr 2014 waren es durchschnittlich 92,8 Mio. Barrel pro Tag. Und auch in diesem Jahr wird die Menschheit wieder einen neuen Verbrauchsrekord aufstellen: 95,8 Millionen Barrel pro Tag, schätzt die IEA, was einem Anstieg um 1,3 Prozent entspräche. Die Nachfrage nach Öl steigt also weiter, allerdings nicht so stark wie in den Vorjahren.
Der Verfall der Rohstoffpreise ist weniger auf die Nachfrage als auf das stark gestiegene Angebot zurückzuführen.
Als sich die Weltwirtschaft 2009 von der Bankenkrise zu erholen begann, wurden die Investitionen in die Erschließung und den Abbau von Rohstoffvorkommen stark erhöht. Die weltweite Nachfrage, so die damalige Erwartung, werde schneller denn je zuvor wachsen – nicht zuletzt aufgrund des hohen Wirtschaftswachstums in China. Der deutliche Anstieg der Rohstoffpreise schien Ausdruck eines wachsenden Rohstoffhungers der Menschheit. Von 2011 bis Sommer 2014 lag der Preis für ein Barrel über 75 Dollar. In Kanada und den USA wurde der Abbau von Ölschiefer und die Ölförderung mittels Fracking rentabel. Die US-Ölproduktion stieg mit über 9 Millionen Barrel pro Tag auf ein Rekordniveau. 2008 waren es noch fünf Millionen. Doch der Boom führte zum Aufbau von Überkapazitäten. Seit geraumer Zeit werden weltweit nach Schätzungen der IEA täglich ungefähr 1,5 Millionen Barrel Öl mehr produziert als benötigt. Nie waren die Lagerbestände so hoch. Und dass sich die USA vom Netto-Öl-Importeur zum Netto-Exporteur wandelten, provozierte den Preiskampf auf dem Weltmarkt, den auf Seiten der OPEC abermals Saudi-Arabien forcierte. Schon Mitte der 1980er Jahre hatten die Saudis als größte Anbieter auf dem Weltmarkt vergeblich versucht, neue Konkurrenz durch einen Preiskampf zu verdrängen. Damals war ihnen die Ölförderung in der Nordsee ein Dorn im Auge. Bekanntlich hielten die Europäer an der vergleichsweise teuren Offshore-Ölproduktion fest.
Auch die Ölproduktion in den USA lässt sich mit einem Preiskampf nicht auf Dauer verhindern. Die Zahl der betriebenen Förderanlagen verringerte sich zwar, die insgesamt in den USA geförderte Ölmenge sank aber bislang kaum. Immerhin wurden im vergangenen Jahr 2015 von der Branche wohl rund 150 Milliarden Dollar weniger investiert. Und in diesem Jahr dürften die Investitionen um weitere 70 Milliarden sinken. Für kleinere Öl-Unternehmen ist der Preisrückgang existenzbedrohend. Deshalb blieben die Sorgen nicht auf die Rohstoffbranche beschränkt. Amerikanische Großbanken haben schon dreistellige Millionenbeträge zurückgestellt, um die Pleitewelle
bei Ölfirmen zu verkraften. Insgesamt haben US-Banken der Ölindustrie 220 Milliarden Dollar geliehen. Gemessen daran erscheinen die bisherigen Rückstellungen für Kreditausfälle gering. Über 50 Förderunternehmen in den USA sind schon insolvent, vor allem solche, die sich nicht mit Termingeschäften gegen Ölpreisrückgänge abgesichert hatten. Aber selbst wenn viele kleinere Ölförderunternehmen in den USA aufgeben müssen, ist davon auszugehen, dass bei einem stärkeren Ölpreisanstieg wieder mehr gebohrt würde.
Inzwischen scheint man auch in Saudi-Arabien den Preiskampf nicht unbegrenzt weiter führen zu wollen oder zu können.
Noch im vergangenen Dezember hatte die Organisation Erdöl exportierender Staaten (OPEC) auf eine Begrenzung ihrer Fördermengen verzichtet. Als nach dem Jahreswechsel und dem Ende der Wirtschaftssanktionen der Iran wieder mit Ölexporten auf den Weltmarkt zurückkehrte, verschärfte das den Preisrückgang noch einmal. Mitte Februar einigten sich dann zwar Saudi-Arabien, Russland, Venezuela und Katar grundsätzlich darauf, ihre Ölfördermengen nicht weiter zu erhöhen, sondern auf dem Niveau von Januar zu belassen. Produktionskürzungen erteilte der saudische Ölminister allerdings jüngst noch einmal eine klare Absage. Irak und Iran verkündeten dagegen, ihre Fördermengen deutlich erhöhen zu wollen. Das Einfrieren der Fördermenge auf dem Januar-Niveau sei für sein Land eine „unrealistische Forderung“, erklärte der iranische Ölminister. Sein irakischer Amtskollege zeigte sich versöhnlicher. Aber der Druck auf die Förderstaaten nimmt zu. Bei Ländern, die einen Großteil ihrer Einnahmen aus dem Verkauf von Erdöl beziehen, klaffen im Staatshaushalt nicht erwartete Löcher. Länder wie Saudi-Arabien oder Norwegen können auf gut gefüllte Staatsfonds zurückgreifen. Andere haben bereits ernsthafte Probleme mit ihrer Zahlungsfähigkeit.
Venezuela hat die meisten erklärten Ziele des Linkspopulisten Hugo Chavez, der vor 16 Jahren an die Macht kam, nicht erreicht, darunter die Abhängigkeit vom Öl zu verringern. Der Anteil an den Exporteinnahmen stieg auf 85 Prozent und rund die Hälfte der Staatseinnahmen hängt daran. Inzwischen hat die Regierung den Wirtschaftsnotstand ausgerufen. Anleihen des venezolanischen Staates und seines Ölkonzerns PdVSA sind vom Ausfall bedroht.
Brasilien sah 2007 schon den Aufstieg in den Kreis der reichen Ölstaaten vor sich, als der staatlich kontrollierte Petrobras-Konzern die Entdeckung riesiger Vorkommen melden konnte. Die in großer Tiefe vor der Küste gelegenen Ölfelder würden allerdings sehr aufwändige Offshore-Fördertechnologie erfordern, was bei den jetzigen Ölpreisen nicht bezahlbar ist. Aus alten Ölfeldern kann sich Brasilien so gerade selbst versorgen. Staatsfinanzen und Petrobras machen einen desolaten Eindruck. Zahlungsausfälle auf Anleihen sind nicht auszuschließen.
Mexiko hatte sich dagegen schon an die Einnahmen aus dem Ölexport gewöhnt: Der Staatskonzern Petroleos Mexicanos, kurz Pemex, steuert rund 40 Prozent zum Staatshaushalt bei. 2015 sanken diese Einnahmen um ein Drittel, nämlich um 46 Mrd. Dollar. Staat und Pemex mussten schon 25.000 Arbeitsplätze streichen.
Auch Russland hat unter Präsident Putin dabei versagt, die Abhängigkeit vom Ölpreis stärker zu verringern.
Neue Wirtschaftszweige entwickeln sich in dem Klima politischer Willkür kaum. Knapp die Hälfte des Staatsbudgets resultiert aus dem Verkauf von Öl und Gas. Die Regierung hat jüngst die Budgets der verschiedenen Ministerien pauschal um zehn Prozent gekürzt trotz einer Ölförderung auf Rekordniveau. Statt des von Putin angekündigten Wirtschaftswachstums ist ein realer Rückgang zu erwarten, nach Worten von Finanzminister Siluanow von 2,5 bis 2,7 Prozent, wenn sich der Ölpreis nicht bald erholen sollte. Ein Ausfall von Russland-Anleihen ist allerdings weniger wahrscheinlich. Die Jahre des hohen Ölpreises wurden wenigstens genutzt, um die Auslandsverschuldung zu reduzieren und Reserven zu schaffen.
Aserbaidschan ist noch abhängiger vom Öl- und Gasexport. Etwa 80 Prozent der Staatseinnahmen resultieren daraus. Andere tragfähige Wirtschaftsbranchen gibt es in dem vorderasiatischen Land nicht, so dass die Regierung schon mit IWF und Weltbank über einen Vier-Milliarden-Dollar-Hilfskredit verhandelt.
Sogar Saudi-Arabien, das gerne verlautbaren lässt, auch einen noch niedrigeren Ölpreis durchhalten zu können, leidet finanziell erheblich. Tatsächlich sind die Förderkosten in Saudi-Arabien die niedrigsten auf der Welt – mit Grenzkosten von unter 10 Dollar pro Barrel. Doch 2015 klaffte ein Loch im Staatsbudget, das der IWF auf 100 Mrd. Dollar oder fast 22 Prozent des Jahres-Wirtschaftsleistung des ganzen Landes schätzt. Um einen Betrag in dieser Größenordnung sind die Devisenreserven bereits geschrumpft. Sie dürften zwar noch gut 600 Mrd. Dollar betragen, werden vom Ölpreisverfall aber so angegriffen, dass Saudi-Arabien nun für über fünf Milliarden Dollar pro Monat Anleihen ausgibt und die Staatsausgaben kürzt. Infrastruktur-Investitionen werden zeitlich gestreckt, manche Subventionen für die Bevölkerung gestrichen und zusätzliche Steuern erhoben, um das Loch im Staatshaushalt nicht noch größer werden zu lassen.
Den Problemen der Ölförderer stehen Vorteile beim Rest der Weltwirtschaft gegenüber.
Volkswirtschaften, wie Deutschland, Japan, China und Indien sind zwar als große Ölimporteure zunächst klar auf der Gewinnerseite, leiden aber unter der sinkenden Kaufkraft wichtiger Abnehmer: Die Nachfrage nach Industrie- und Konsumgütern aus Ölförderländern fällt schwächer aus. Auch das ist ein Grund, warum sich die Börsen momentan eher über steigende Ölpreise freuen.
Oligarchen kommen unter Druck!
Russische Oligarchen gelten seit Jahren als Symbolfiguren des Kapitalismus: Längst sind Abramowitsch & Co neben den Hollywood-Größen zu den beliebtesten Motiven der Klatsch-Magazine aufgestiegen. Denn viele von ihnen erfüllen gleich zwei Anforderungen der Paparazzi: Schließlich heißt es nicht nur „sex sells“, sondern auch „money“. Der sagenhafte Reichtum, zu dem viele Oligarchen (griechisch: „Herrschaft der Wenigen“) auf zwielichtigem Wege im Zuge der Jelzin-Ära in Russland gelangten, ist die eine Sache, schöne Frauen, mit denen sie sich umgeben, die andere (vielleicht auch die logische Folge). Stellvertretend für den Jetset steht beispielsweise Vladislav Doronin, der die Liebe von Top-Model Naomi Campbell für sich gewinnen konnte, aber auch Roman Abramowitsch, Besitzer des Fussballclubs Chelsea London, der seine Frau für die 25 jährige Dascha Schukowa sitzen ließ und ihr jüngst zur Einrichtung ihrer Moskauer Kunstgalerie drei der teuersten Bilder der Welt schenkte.
Von der Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt haben sich die Oligarchen in den letzten Jahren aber nicht nur dem Luxusleben hingegeben, sondern sich auch zu Großaktionären entwickelt. Beispielsweise gehörten Rustam Aksenenko vor kurzem 25% der Nobelmarke Escada, Wictor Wexelberg 10% des schweizer Maschinenbauers Sulzer, Oleg Deripaska 10% des deutschen Bauunternehmens Hoch Tief und Suleiman Kerimov sogar 3% der Deutschen Bank.
In der Krise geht es ihnen jetzt im Verhältnis aber mindestens so schlecht, wie dem einfachen Anleger. Denn sie haben große Teile ihrer Aktienpakete finanziert, um ihre Anteile an den Firmen noch schneller ausbauen zu können. Als Sicherheiten dienten ihre Aktien. Angesichts sinkender Kurse winken ihnen nun gewaltige „Margin Calls“. Mit anderen Worten, sie müssen Bargeld nachschießen, um eine Zwangsliquidierung ihrer offenen Positionen zu verhindern. Aber Anschlussfinanzierungen sind derzeit nur schwer zu bekommen. In der Folge übernehmen die Banken Teile der hinterlegten Aktienpakete und verkaufen diese im Anschluss, um selbst liquide zu bleiben. So schmelzen die Pakete derzeit ähnlich schnell, wie diese aufgebaut wurden und die Börse gerät zusätzlich unter Druck. Deripaskas Unternehmen United Co. Rusual’s soll allein in der Crash-Woche mehr als 16 Milliarden US-Dollar verloren haben.
Aktuelle Schätzungen zufolge haben die Oligarchen zusammen, gemessen an den 25 reichsten Russen, in den letzten fünf Monaten mehr als 60% ihres Vermögens vernichtet (Quelle Bloomberg). Der Verlust dürfte mittlerweile eine Größenordnung von rund 230 Mrd. US-Dollar angenommen haben. So soll beispielsweise der Abschreibungsbedarf von Roman Abramowitsch bei rund 20 Mrd. US-Dollar liegen. Vladimir Lisin, Mehrheitsaktionär des Unternehmens OAO Novolipetsk Steel soll im Zuge des Kurssturzes sogar 22 Mrd. US-Dollar eingebüßt haben.
Fazit: Erstens: Die russischen Oligarchen werden auch nach diesen Verlusten nicht am Hungertuch nagen. Zweitens: Verluste sind relativ in Abhängigkeit von den eingesetzten Mitteln zu sehen. Drittens: Die Kassensituation der Oligarchen könnte sich vergleichsweise schnell wieder zum besseren entwickeln. Ihre Engagements bei Rohstoff- und Infrastrukturunternehmen könnten sich schon bald wieder merklich erholen, für den Fall, dass die Rezession milder als erwartet ausfällt.
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